Jubiläumsjahr – Flyer als PDF
Malen im Malort – Inneren Impulsen folgen
Ein Interview
geführt von Bettina Dempwolf
Malen muss nicht Kunst sein. Es kann auch einfach dazu dienen, sich von schönen Farben inspirieren zu lassen. Sie nach Lust und Laune aufs Papier zu bringen. Ideale Bedingungen hierfür findet man in einem Malort, wie Eva Hoffmann ihn betreibt. Was das Malen hier besonders macht, was es mit Spielen zu tun hat und warum die Malenden hier bedient werden, verrät Eva Hoffmann im Interview.
Frau Hoffmann, ihr Malort geht auf eine Erfindung von Arno Stern zurück. Er hat in den 50er Jahren in Paris seinen ersten Malort eingerichtet. Was unterscheidet ihn von einem künstlerischen Atelier?
Ein Malort ist zwar einem Atelier ähnlich, aber die Bilder aus einem Atelier werden später auch anderen Menschen gezeigt und beinhalten oft eine Botschaft. In einem Malort geht es dagegen darum, den Prozess des Malens in den Mittelpunkt zu stellen. Ganz ohne Ziel, ohne Kommunikation darüber.
Zentrale Begriffe bei Arno Stern sind die Formulation und das Malspiel. Was steckt dahinter und wie hängen diese Phänomene zusammen?
Arno Stern entdeckte durch die vielen Jahre, die er Menschen in seinem Malort begleitet hat, dass Menschen aller Kulturen aus sich heraus ähnliche bildhafte Zeichen produzieren. Er nennt dieses Phänomen Formulation. Aus ihrem Inneren formulieren Menschen bestimmte Zeichen wie Kreise, Strahlen oder Spiralen, die sie vorher vielleicht nie gesehen haben. Und die Menschen malen diese Zeichen immer in einer ähnlichen Abfolge. Das bestätigten ihm tausende von Bildern, die er von seinen Weltreisen mitbrachte. Arno Stern erklärt sich das mit einem genetischen Code im Menschen, der im Prozess des Malspiels sichtbar wird. Er hat herausgefunden, dass es in der Formulation im Prinzip 70 dieser Zeichen gibt, die entstehen, wenn der oder die Malende ins Malen eintauchen darf wie in ein Spiel. Das setzt voraus: es ist niemand da, der dich belehrt, das Bild bewertet oder irgendetwas interpretiert und sagt: „nimm mal nicht so viel rot oder warum nimmst du denn so viel schwarz…oder, oder“. Es geht darum, den Malenden zu lassen und ihn mit dem zu bedienen, was er für den Ausdruck der eigenen inneren Bilder braucht. Das erzeugt Wohlbefinden und gibt Sicherheit über das Malen hinaus für das gesamte Leben.
Wie ist Arno Stern auf die Idee des Malortes gekommen?
Nach dem Krieg sollte er Waisenkinder beschäftigen. Ihm standen Stifte und Papier zur Verfügung. Er fing an mit den Kindern zu malen und nahm, aus seiner persönlichen Haltung heraus, keinerlei Einfluss auf die Kinder. So entstand das Grundprinzip des Malortes. Mit der Zeit kamen immer mehr Kinder dazu, so dass man nicht mehr an einem Tisch sitzen konnte. Und das nächste Prinzip des Malortes entwickelte sich: das Malen im Stehen. Dann reichte dieser Platz auch nicht mehr aus und die Fenster wurden dicht gemacht, um rundherum alle Wände zum Malen nutzen zu können. So entstand quasi eine Höhle, ein geschlossener und geschützter Raum, der den Kindern gut tat. Es unterstützte die Kinder in ihren Möglichkeiten spielerisch zu malen. So hat er auch entdeckt, dass immer die gleichen 18 Farben genutzt wurden, die heute fest zur Ausstattung des Malortes gehören. Sie sind in einer bestimmten Reihenfolge geordnet, damit die Malenden quasi blind darauf zugreifen können. Und Stern ist aufgefallen, dass es gut für das Malspiel ist, die Kinder zu bedienen.
Was heißt bedienen in diesem Zusammenhang?
Bedienen heißt, dass zum Beispiel niemand im Malort die Pinsel auswäscht. Das tut die Person, die den Malort begleitet. Sie hängt auch die Bilder so auf, wie es die Malenden für sich gerade brauchen. Oder sie reicht einem Kind oder einem Erwachsenen zügig einen Hocker, damit der Malende die richtige Höhe zum Bild hat und das Material optimal nutzen kann. Es geht darum, das Optimum an Freiheit für das Malspiel zu schaffen und die Bilder nicht zu interpretieren. Diese Aufmerksamkeit lernt man in der Ausbildung als Malortdienende.
Dürfen die Bilder kommentiert werden?
Nein. Mit jedem Kommentar nehme ich Einfluss auf das Gemalte. Der Malort ist ein bewertungsfreier, geschützter Raum. Darum verlassen die Bilder auch nicht den Raum. Wer mag, kann in der nächsten Sitzung an seinen Bildern weiterarbeiten, aber sie nicht mitnehmen. Das könnte die Konzentration auf den Prozess des Malens stören und Einflüsse von außen möglich machen.
Haben Kinder einen besonderen Zugang zum Malspiel?
Ich denke schon. Bei unter Sechsjährigen spielt das Sinnliche noch eine große Rolle. Selbstvergessen Spuren zu hinterlassen, ist ein ganz typisches, alltägliches Kinderspiel. Wenn sie den Raum haben, entwickeln sie von ganz alleine Möglichkeiten mit Farbe und Pinsel umzugehen. Sie finden leicht ins Malspiel, wenn keine Belehrung und Bewertung stattfindet.
Gelingt das Erwachsenen auch?
Auf jeden Fall. Der älteste Herr, den ich im Malort hatte, war 80 Jahre. Die Frage ist einfach: wie sehr jemand bereit ist, sich auf den eigenen Prozess einzulassen, ihn als Genuss zu erleben und kein „Werk“ schaffen zu wollen. Denn darum geht es im Malort nicht. Bei Erwachsenen dauert dieser Prozess des Einlassens häufig etwas länger.
Was bewirkt das Malspiel?
Erstmal kann man der Lust, etwas mit Farben zu tun, ganz und gar nachgehen. Man hat hochwertige erprobte Materialien. Zudem habe ich schon erlebt, dass es für die gesamte Persönlichkeit gewinnbringend sein kann, wenn man sich auf das Malspiel ohne Bewertung und Belehrung einlässt. Zu sagen: jawoll, das, was ich mache, ist in Ordnung. Meins darf sein, was andere darüber denken ist unwichtig. Ich probiere mich aus, finde meinen Ausdruck, traue mich etwas. Das ist eine eigene kleine Welt, mit sich selber unterwegs zu sein und andere neben sich zu haben, die ihre eigenen Spuren hinterlassen. Das finde ich für Kinder und Erwachsene einen großen Gewinn. „Ich darf sein wie ich bin und muss keine Vorgaben erfüllen, damit ich dazu gehöre.“ Das ist etwas sehr kostbares.
Zu wie vielen wird im Malort gemalt?
Auf jeden Fall sollte es eine Gruppe sein. Es ist wesentlich, nicht alleine zu sein und trotzdem individuell über sich selbst bestimmen zu können. Der Malort soll ein Ort sein, wo die alltäglichen Vergleiche untereinander aufgehoben sind. Hier kann ein 80jähriger Herr neben einem Dreijährigen ins Malspiel eintauchen. Als „Spiel- und Weggefährten“, die sich gegenseitig lassen, wie sie sind.
Gibt es im Malort Regeln?
Der malende Mensch entschließt sich, in einen Prozess von einmal wöchentlich für mindestens ein Jahr einzusteigen. Diese Regelmäßigkeit ist wichtig, um in eine Unabhängigkeit zu kommen, seinem eigenen Ausdruck im eigenen Rhythmus nachgehen zu können. Sich auf das Spiel einzulassen. Ich erkläre in einem Vorgespräch den besonderen Umgang mit Pinsel, Farbe und Blatt und die Regel, dass es keine Bewertung gibt. Nicht durch mich und auch nicht untereinander. Auch kein Lob wie „das hast du aber toll gemacht“. Weil auch das eine Bewertung ist, die Abhängigkeit schafft und das individuelle Spiel stört.
Was macht denn das Malspiel zu einer Malspur?
Sobald ich den Pinsel eintauche und damit Spuren auf dem Blatt hinterlasse, wird das Malspiel zu einer Malspur. Daher der Name meines Malortes: Malspuren Hoffmann.
Vielen Dank für das Gespräch, Frau Hoffmann!